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Priv.-Doz. Dr. phil. habil. Berthold Grzywatz


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"Freisehen“

Ausstellung in der Galerie [ Der Lokschuppen ] - Rendsburg

1. September 2023 bis 13. Oktober 2023.

 

Hayo Heye (Hamburg, Fotografie)

Wolfgang Hundertmark (Neustadt, Fotografie)

Berthold Grzywatz (Skulptur)

 

 

 

Berthold Grzywatz

Freisehen?

Die Fotografie von Hayo Heye und Wolfgang Hundertmark in der Begegnung mit Skulpturen von Berthold Grzywatz

 

Unter dem Titel „Freisehen“ zeigt die Galerie [ Der Lokschuppen ] Fotografie von Hayo Heye (Hamburg) und Wolfgang Hundertmark (Neustadt) sowie Skulpturen von Berthold Grzywatz.

Hayo Heye, zu Beginn der sechziger Jahre in Hamburg geboren, hat seine Ausbildung als Fotograf im Atelier Rosemarie Pierer in seiner Heimatstadt erhalten und später seine praktische Tätigkeit als Assistent bei Rudolf Schmutz Jr. vertieft. Seit 1988 arbeitet er als freier Fotograf. Mit seinen Werken war und ist er sowohl in zahlreichen Einzelausstellungen präsent als auch in Gruppenexpositionen vertreten. Genannt sei nur seine letztjährige Teilnahme an der RFXLN 07, der Landesschau für Fotoreflexionen in Schleswig-Holstein, die von der Stadtgalerie Kiel ausgerichtet wurde.

Wolfgang Hundertmark ist fotografischer Autodidakt, der sich der Nah-, Makro- und Naturfotografie verschrieben hat.

Hayo Heyes Werke treten als absurde Stillleben in Erscheinung. In der gesuchten Isoliertheit des Studios entstehen Arrangements von Objekten, die sich einerseits der Vielschichtigkeit der realen Welt verweigern, andererseits in ihrer inneren Logik, Ordnungen und Strukturen schaffen, mit denen das Sehen des Betrachters herausgefordert werden soll. Die komponierte Objektwelt will die Wahrnehmung freilich weder binden noch ihr vorgreifen.

Bei einem ersten Betrachten der Werke von Hayo Heye könnte man geneigt sein, an einer willkürlichen Auswahl der fotografierten Gegenstände zu denken. Eine Auswahl ohne Intention, Objekte ohne Inhalt. Das Verweigern von Titeln mag eine vordergründige Bildwelt suggerieren, in der das Sosein der Dinge in seiner Einfachheit Ausdruck findet. Eine solche Wahrnehmung bleibt indes im Oberflächlichen, denn Auswahl, Sorgfalt der Komposition und Komplexität des Arrangements, die Behandlung des Lichts sowie die bildnerische Nachbearbeitung sind als intentionale künstlerische Akte zu verstehen.

Sicherlich haben wir es nicht mit einer sachlich-realistischen Fotografie zu tun, die allein dem Abbildungsmechanismus verpflichtet ist. Nicht weniger treffen wir auf einen fotografischen Ansatz, der über eine technologieorientierte Darstellung des Lichts auf eine Erziehung der Sinne und damit auf die geistige Bildung des Menschen abzielt, wie er sich in der pädagogisch und anthropologisch fundierten Bauhaus-Fotografie eines Maholy-Nagy realisiert. Ebenso kann nicht von einer erzählerischen, auf das Atmosphärische konzentrierten Fotografie gesprochen werden, die den Blick in der Verbindung von Form und Inhalt über die Dinge auf den Menschen lenkt und Gefühle zu enthüllen sucht, was uns an Andre Kertesz denken lässt. Gleichwohl finden wir bei Hayo Heye eine inszenierte Fotografie vor. Banale Objekte werden ästhetisch in Szene gesetzt: experimentell, einfach, klar, vielleicht ungewöhnlich, reduziert auf die Form in einem Netz aus Licht und Schatten.

Mit den jeweils nur wenigen Bildelementen schafft Heye eine raffinierte Verwobenheit der Objekte, integriert er die abstrakten Formen. Die Alltäglichkeit der Dinge lässt das Fehlen von Bedeutung vermuten. Die Betonung des Objekts macht gleichsam dessen unbelasteten Charakter glaubhaft. Dessen ungeachtet darf jedoch ebenso wenig die Materialität der Gegenstände wie deren durch das Arrangement ausgelöste Interaktion vergessen werden. Und insoweit uns der Künstler nicht mit natürlichen, sondern industriell gefertigten Dingen konfrontiert, müssen wir diese Objekte als Ausdruck vergegenständlichter menschlicher Arbeit verstehen. Mithin wird über den demonstrativen Verweis auf die unbelebte Natur der Sachen sowohl auf menschliches Handeln als auch auf dessen wissendes Hervorbringen von Werken hingedeutet.

Das Werk aber, ungeachtet seiner Wiederholbarkeit in industrieller Fertigung, wie das am Werk sein des Künstlers, an dessen Ende etwas Unvertretbares, Individuelles steht, ist nicht der Zeit entrückt. Gegenstand, Handeln, Werk und am Werk sein entfalten sich im historischen Raum. Sie unterliegen wie die natürlichen Dinge ihren Voraussetzungen und Bedingungen. Dem Betrachter, auch dem Betrachter der künstlerischen Arbeit, kann dies nicht verborgen bleiben.

Nun hat Hayo Heye den ausgestellten Fotografien einen Gesamttitel gegeben – eine Werkreihe, die er, wie bereits erwähnt, als „Absurde Stillleben“ bezeichnet. Ein unverbindlicher Arbeitstitel? Ein spontaner Einfall im Studio? Ich glaube nicht. Wenn sich die Ordnung der Dinge im Absurden entfaltet oder gar selbst von der Absurdität ihres Seins künden, so begegnen wir, ob gewollt oder ungewollt, der Sinnfrage. Das Absurde ist der Vernunft widersprechend, zeugt von Sinnlosigkeit, widersetzt sich der Logik, verneint die herkömmlichen Gewohnheiten des Denkens.

Sehen wir die Dinge als Teil der Welt, drängt sich die Frage nach ihrem Charakter auf. Sehen wir sie als absurdes Leben, setzen wir uns ihrer Vernunftwidrigkeit aus. Die Erkenntnis der Sinnlosigkeit konfrontiert mit dem Scheitern des Menschen: Die Unfähigkeit, aus seiner Geschichte zu lernen, die endlose Kette von Gewalt und Zerstörung, das Verzweifeln an der eigenen Unzulänglichkeit und Schwäche zu durchbrechen. „Lab dich nicht an deiner Ohnmacht“, heißt es in einer Zeile der „Anweisung an Sisyphos“ von Hans Magnus Enzensberger, lassen sie uns in diesem Sinn auf die fotografischen Stillleben von Hayo Heye blicken und zwischen dem Unscheinbaren Wege aus der Ohnmacht finden.

Der uneingeschränkte Blick als künstlerischer Impuls verbindet Heyes Arbeiten mit den Werken von Wolfgang Hundertmark, die dem Thema „Information“ verpflichtet sind. Er greift die Frage nach dem manipulativen Charakter des Informationsnetzes und seiner Träger auf. Hundertmark geht so weit, dass er die technische Seite der Information hinterfragt und ihre Auflösung, wenn nicht gar Zerstörung, als Spiel zwischen Wissen und Nichtwissen inszeniert. Für das Spiel mit der Informationsvermittlung, der Verunsicherung des Empfängers durch Unbestimmtheit, Undurchsichtigkeit, Ungewissheit, Einschränkung oder Auslöschung wählt Hundertmark die Titel „White-Black-Out“ bzw. „Wipe-Knock-Out“ – also: das Diffuse und Dunkel, das Wegwischen und Zerschlagen. Die im fotografischen Werk umgesetzte Irritation will bewusst den Rezipienten beunruhigen.

Hundertmark wendet sich den analogen und digitalen Objektträgern von Informationen zu: dem Film, der Musik- und Videokassette oder der Schallplatte, der Diskette, CD oder der DVD. Wie beim Foto besteht ihr Ursprung aus einer Metainformation, die sich im Herstellungsakt realisiert, aber durch vielfältige Filter an den Nutzer gelangt. Durch mechanisches Einwirken im Wege der Farbgebung oder der Demontage hat Hundertmark die äußere Erscheinung der Träger verändert. Die Informationsträger besitzen demnach eine Doppelnatur: Sie sind einerseits durch Technik geleitete, auf Wiederholung angelegte Werke andererseits Schöpfungen singulärer künstlerischer Handlungen, die sich technischer Mittel bedienen.

Man mag dabei, wie angemerkt, an Manipulation denken, entscheidender scheint unterdes der mit dem Eingriff einhergehende Verlust an Information zu sein. Die Differenziertheit unserer Gegenwart besteht zu einem nicht geringen Teil aus der Unüberschaubarkeit von Daten, die dem Einzelnen das Verständnis für die Zusammenhänge unserer Welt verweigern. Der Erfahrungsraum des Individuums, sein situatives Erleben ist in einen prozesshaften Austausch mit der sozialen Umwelt eingebunden, der Kommunikation und Information unabdingbar einschließt. Der Verlust dieses Zusammenhangs, das Nicht-mehr-Lesen, Nicht-mehr-Hören-können, oder seine Beliebigkeit, ruft Probleme der Orientierung über das hervor, was wirklich ist. Macht möglicherweise, provokativ gesagt, unser Sein zur Illusion.

Den gezielten Verunsicherungen durch den Verlust von Bedeutung und dem Entleeren von Sinn treten die materialbetonten, mitunter das Weiß als stoffliche Hülle nutzenden Skulpturen von Berthold Grzywatz mit der Intention gegenüber, die Dinge und das gesellschaftliche Geschehen zwischen Gestern und Heute als Handlungsfeld zu verdeutlichen. Das „Freisehen“ unterliegt einer Perspektive, sich jenseits aller Beschädigungen den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen.

In der Abstraktion des Werkes wird nach einer Sprache gesucht, die seine Bezüge zum Wirklichen, zum Konkreten herstellt. Mit anderen Worten: Das abstrakte Werk verfügt über eine sinnvolle Bedeutung, bezieht sich auf Konkretes, das ihm seine Bedeutung verleiht. Die sinnentleerte Welt, die Logik des Absurden, ist nicht durch eine passive Ethik zu überwinden, in der sich die Revolte als individuelle Selbstbehauptung darstellt. Ein zeitgemäßes Handeln aus Verantwortung ist vielmehr verlangt, das im zwischenmenschlichen Bezug verankert bleibt. Dazu dieser Beitrag.

 

Berthold Grzywatz

Seeing free?

Photography by Hayo Heye and Wolfgang Hundertmark in encounter with sculptures by Berthold Grzywatz

 

Under the title "Freisehen", the gallery [ Der Lokschuppen ] shows photography by Hayo Heye (Hamburg) and Wolfgang Hundertmark (Neustadt) as well as sculptures by Berthold Grzywatz.

Hayo Heye, born in Hamburg at the beginning of the sixties, received his training as a photographer in the Rosemarie Pierer studio in his hometown and later deepened his practical work as an assistant to Rudolf Schmutz Jr. He has been working as a freelance photographer since 1988. His work has been shown in numerous solo exhibitions as well as in group exhibitions. One example is his participation last year in RFXLN 07, the state show for photographic reflections in Schleswig-Holstein, which was organised by the Stadtgalerie Kiel.

Wolfgang Hundertmark is a photographic autodidact who has devoted himself to close-up, macro and nature photography.

Hayo Heye's works appear as absurd still lifes. In the sought-after isolation of the studio, arrangements of objects are created that, on the one hand, refuse the complexity of the real world, and on the other hand, in their inner logic, create orders and structures with which the viewer's vision is to be challenged. The composed world of objects, however, neither wants to bind nor anticipate perception.

At first glance at Hayo Heye's works, one might be inclined to think of an arbitrary selection of photographed objects. A selection without intention, objects without content. The refusal of titles may suggest a superficial pictorial world in which the suchness of things finds expression in its simplicity. Such a perception, however, remains superficial, for the selection, care of the composition and complexity of the arrangement, the treatment of the light as well as the pictorial post-processing are to be understood as intentional artistic acts.

Certainly, we are not dealing with a factual-realistic photography that is solely committed to the mechanism of depiction. No less do we encounter a photographic approach that, via a technology-oriented representation of light, aims at an education of the senses and thus at the spiritual formation of man, as realised in the pedagogically and anthropologically based Bauhaus photography of a Maholy-Nagy. Likewise, we cannot speak of a narrative photography focused on the atmospheric, which directs the gaze in the connection of form and content via things to people and seeks to reveal feelings, which makes us think of Andre Kertesz. Nevertheless, we find staged photography in Hayo Heye's work. Banal objects are aesthetically staged: experimental, simple, clear, perhaps unusual, reduced to form in a web of light and shadow.

With only a few pictorial elements in each case, Heye creates a sophisticated interweaving of the objects, he integrates the abstract forms. The everydayness of the things suggests the absence of meaning. The emphasis on the object, as it were, makes its unencumbered character credible. Nevertheless, the materiality of the objects and their interaction triggered by the arrangement must not be forgotten. And insofar as the artist confronts us not with natural but industrially produced things, we must understand these objects as an expression of objectified human labour. Thus, the demonstrative reference to the inanimate nature of things points both to human action and to the knowing production of works.

The work, however, regardless of its repeatability in industrial production, like the artist's being at work, at the end of which stands something unjustifiable, individual, is not removed from time. Object, action, work and being at work unfold in historical space. Like natural things, they are subject to their prerequisites and conditions. This cannot remain hidden from the viewer, including the viewer of the artistic work.

Now Hayo Heye has given the exhibited photographs an overall title - a series of works that he calls, as already mentioned, "Absurd Still Lives". A noncommittal working title? A spontaneous idea in the studio? I don't think so. When the order of things unfolds in the absurd or even itself announces the absurdity of its being, we encounter, whether intentionally or not, the question of meaning. The absurd is contrary to reason, testifies to senselessness, defies logic, negates the conventional habits of thought.

If we see things as part of the world, the question of their character arises. If we see them as absurd life, we expose ourselves to their irrationality. The realisation of senselessness confronts us with the failure of man: The inability to learn from his history, to break the endless chain of violence and destruction, the despair of his own inadequacy and weakness. "Don't feast on your powerlessness", says a line from Hans Magnus Enzensberger's "Instruction to Sisyphus", let us look at Hayo Heye's photographic still lifes in this sense and find ways out of powerlessness between the inconspicuous.

The unrestricted gaze as an artistic impulse connects Heye's works with the works of Wolfgang Hundertmark, which are committed to the theme of "information". He takes up the question of the manipulative character of the information network and its carriers. Hundertmark goes so far as to question the technical side of information and stages its dissolution, if not destruction, as a game between knowledge and non-knowledge. Hundertmark chooses the titles "White-Black-Out" or "Wipe-Knock-Out" for the play with the transmission of information, the uncertainty of the recipient through indeterminacy, opacity, uncertainty, restriction or erasure - in other words: the diffuse and dark, the wiping away and smashing. The irritation implemented in the photographic work deliberately aims to disconcert the recipient.

Hundertmark turns to the analogue and digital slides of information: the film, the music and video cassette or the record, the diskette, CD or DVD. As with the photograph, its origin consists of metainformation that is realised in the act of production but reaches the user through a variety of filters. Hundertmark has changed the outer appearance of the carriers through mechanical action by way of colouring or dismantling. The information carriers thus have a double nature: on the one hand, they are works guided by technology and designed for repetition; on the other hand, they are creations of singular artistic acts that make use of technical means.

One may think of manipulation, but the loss of information that goes hand in hand with the intervention seems to be more decisive. The differentiation of our present consists in no small part of the unmanageability of data, which denies the individual an understanding of the interrelationships of our world. The experiential space of the individual, his or her situational experience, is bound up in a processual exchange with the social environment, which indispensably includes communication and information. The loss of this connection, the no-longer-reading, no-longer-hearing, or its arbitrariness, creates problems of orientation about what really is. Possibly, provocatively, makes our being an illusion.

Berthold Grzywatz's sculptures, which emphasise material and sometimes use white as a material cover, confront the targeted insecurities caused by the loss of meaning and the emptying of meaning with the intention of clarifying things and social events between yesterday and today as a field of action. „Freisehen" is subject to a perspective of facing the challenges of the present beyond all damage.

In the abstraction of the work, a language is sought that establishes its references to the real, to the concrete. In other words, the abstract work has a meaningful significance, relates to the concrete, which gives it its meaning. The world devoid of meaning, the logic of the absurd, cannot be overcome by a passive ethics in which revolt presents itself as individual self-assertion. Rather, a contemporary action out of responsibility is required that remains anchored in the interpersonal relationship. This is what this contribution is about.

 

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