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Priv.-Doz. Dr. phil. habil. Berthold Grzywatz


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Fotografie

 

Seine fotografischen Arbeiten sieht Berthold Grzywatz weniger unter formalen als unter inhaltlichen Aspekten in enger Korrespondenz zu seinen skulpturalen Arbeiten. Die Fotografie dient nicht der Vorbereitung oder etwa der Konkretisierung bildhauerischer Ansätze. Dagegen spricht sowohl die Verwendung der Farbe, der hier eine eminent eigenständige Bedeutung zukommt, als auch der spezifische Blickwinkel der Motivik. Die inhaltlichen Vorstellungen, die thematischen Orientierungen und die Strategien des Sehens offenbaren indessen Verbindungen, indem die abstrahierende Form, die Reduktion des Objekts auf grundlegende Strukturen und seine Lösung aus realen Zusammenhängen zu den konstitutiven Werkprinzipien gehören. Wenn Berthold Grzywatz in einzelnen Fällen die räumliche Auflösung des Objekts soweit vorantreibt, dass das Raum-Objekt-Gefüge zu Gunsten einer zweidimensionalen Bildlichkeit destruiert wird, dann muss allerdings von einem autonomen Gestaltungsspektrum der Fotografie gesprochen werden. 

Industrieller Alltag - Bewegung, Nr. 1

Berthold Grzywatz

Fotografie als Labor

Nach Emile Zola, der sich neben seiner schriftstellerischen Arbeit auch der Fotografie widmete, hatte man einen Gegenstand erst dann wirklich gesehen, wenn man von ihm eine Fotografie gemacht hatte, da das spontane alltägliche Sehen begrenzt und nicht in der Lage war, den Detailreichtum des Wirklichen zu offenbaren. Zweifellos ging es Zola um eine Intensivierung des Sehens, die Erschließung der vielfältigen Facetten des Realen. Diese Absicht ging mit der Hoffnung einher, die Wirklichkeit künstlerisch mit den Mitteln von Beobachtung und Experiment bewältigen zu können.

 

Im Hinblick auf die Präzision der Wiedergabe wurde die Fotografie als Vergleichsmedium für die Literatur eingestuft. Der fiktionale Text sollte als Wirklichkeitsabbildung gelesen werden. Dazu waren Textstrategien erforderlich, die durch bestimmte Techniken wie die Einblendung nachprüfbarer Sachinformationen oder dokumentarische Sachbe-schreibungen  „Realitätseffekte“ hervorriefen. Das Kunstwerk wurde zum Experiment des Künstlers, der naturwissenschaftliche Strategien entfaltet. Es ist bekannt, dass Zolas ästhetische Zielsetzungen durch ihre theoretischen Voraussetzungen, wie etwa Hippolyte Taines Milieutheorie, ihrer Zeit verhaftet blieben und insbesondere seine Darstellung des Menschen auf Abstraktionen beruhte. Zudem geriet der Realismusbegriff insofern in die Kritik, als die Vorstellung einer vom Denken unabhängigen Wirklichkeit durch ein Verständnis abgelöst, das die äußere Realität zwar nicht leugnet, sie aber auf die intersubjektiven Prozesse Erkennen und Verständigung innerhalb eines Kulturkreises gebunden sieht.

 

Gleichwohl ging es Zola nicht nur um die Wiedergabe der gesellschaftlichen Realität, die durch das Bewusstsein des Künstlers gesteuert wurde, sein künstlerischer Ansatz zielte auch auf eine intensivierte Realität ab, die von einer übergeordneten Idee ausgehend die Zusammenhänge der Realität, die Korrespondenz der Dinge und das Wesentliche der Zeit zur Anschauung bringen sollte. Paul Cezanne, der langjährige Freund Zolas, suchte diesen Anspruch gegen die spontanen Stimmungsskizzen und das verfeinerte Wechselspiel subtiler Farbdifferenzen des Impressionismus in einer Malerei umzusetzen, die sich stärker der Komposition widmete, Strukturgebung und Korrespondenz in der Behandlung von Fläche und Farbe betonte.

 

Die Wertschätzung der Fotografie durch Zola stand ihre radikale Ablehnung durch den literarischen Symbolismus gegenüber. Er lehnte eine positivistische Sicht der Wirklichkeit ab, wie sie nach seiner Auffassung in der Fotografie zum Ausdruck kam. Der von den Symbolisten geschätzte Maler Edgar Degas beschrieb die Fotografie als „Momentaufnahme“, als „mechanisches Auge“, das weder unterscheiden noch verstehen konnte. Diese Sicht hielt Degas nicht davon ab, sich ebenso mit der Fotografie zu beschäftigen wie sich von ihren Wirkungen beeinflussen zu lassen. Nicht zuletzt war es die fotografische Momentaufnahme, die Degas beeindruckte. Diese Technik erlaubte das Sichtbarmachen von Wirklichkeiten, die dem bloßen Auge nicht erkennbar waren. Die Möglichkeit, zu beliebigen Zeiten willkürliche Bildausschnitte zu fixieren und damit der Abbildung Authentizität zu verleihen, wurde von der Malerei aufgegriffen. Die Realität ließ sich in neuartiger Weise fassen, indem beispielsweise die in Straßenszenen zum Ausdruck kommende Bewegung, mithin ein zufälliges Geschehen, in das komponierte Bild integriert und damit der Komposition neue Strukturen eröffnet wurden. Durch die Erfahrung der „beweglichen“ Fotografie wird szenisch Zusammenhangloses zum Moment der Komposition, deren Anlass das Motiv ist.

 

Anknüpfend an diese Gedanken zur frühen Fotografie und ihre Wirkungen auf Kunst und Literatur könnte gefragt werden, welche Wirklichkeiten sucht Berthold Grzywatz in seinen Arbeiten, wie verhalten sie sich zur Komplexität der Erscheinungen, die den Menschen in seiner Realitätsbewältigung begleiten? Zunächst lässt sich nicht übersehen, dass dem Motiv eine zentrale Bedeutung zukommt. Es ist Anlass und Ausgangspunkt, aber immer in Verbindung mit einem reflektorischen Prozess, der in Korrespondenz mit der Seherfahrung auf Zusammenhänge abzielt und im Sehen der Dinge stets zu neuen Assoziationen und Interpretationen herausfordert. Im Spannungsverhältnis zwischen Naturalismus und Abstraktion werden die ausgewählten Objekte insofern in ihrer Erscheinung reduziert, als Grzywatz die Beziehungen zu räumlichen und zeitlichen Orientierungen auflöst. Das Objekt stellt er in seiner Singularität dar. Die Raum- und Zeitlosigkeit ist indessen nur ein scheinbarer Verlust, denn durch die Reduktion entstehen neue Relationen, werden Welt und Wirklichkeit strukturell erschlossen und das Sehen einer anderen Intensität zugeführt.

 

Es spielt dabei keine Rolle, ob das Objekt in der Begegnung mit der Natur gesucht oder Dingen der industriell verfassten Gegenwartsgesellschaft nachgegangen wird. Entscheidend ist dagegen die Verwobenheit mit dem Alltäglichen, mit der Struktur, dem Detail und Fragment. Es findet eine subtile Begegnung mit der Stofflichkeit und Materialstruktur, der Beschaffenheit von Oberflächen, mit den Mustern der Dingwelt, ihren Anordnungen und Linien, ihren Brüchen und Kontrasten statt. Nur selten greift Berthold Grzywatz zum Mittel des Arrangements, da die Objekte selbst durch die Reduktion des Kontextes neue Seherfahrungen ermöglichen sollen, die auf die Erschließung von bisher Unbekanntem abzielen.

 

Die mit der Nahaufnahme verbundene Detaillierung kann sich in einer Darstellung äußern, die nur dem formalen Gerüst der vorgefundenen Strukturen dient. In der Regel gewinnen die Bilder jedoch eine innere Dynamik, indem sie Licht- und Schattenwirkungen entwickeln sowie Perspektiven suchen, die eine Rhythmisierung der Objekte zulassen. Durch die Wahl des Ausschnitts erscheint das gewählte Motiv im Wechsel horizontaler und vertikaler Verschiebungen, es wird durch Brüche und Öffnungen akzentuiert. Wenn das fotografische Objekt auf diese Weise eine besondere Autonomie erhält, und vielleicht sogar narrative Elemente einfließen, obwohl das kein zentrales künstlerisches Anliegen ist, dann geht es eben um eine Vertiefung der Aufmerksamkeit.

 

Radiation No. 7

 

Berthold Grzywatz

Das Fragment als Form.

Eine fotografisache Praxis

 

Wenn wir die Wirklichkeit als Geschehenszusammenhang verstehen, müssen wir anerkennen, dass sie keine feste, stets greifbare Gegebenheit ist. Das Sein stellt keine unverbrüchliche Ordnung dar, selbst in seinen Teilbereichen nicht. Der Verlust eines Ganzen lässt kein einheitliches Weltbild mehr zu. Mögen Dinge und Menschen auf vielfältige Weise miteinander verflochten sein, – denken wir nur an das Verhältnis von Wissenschaft und gesellschaftlichem Alltagsleben – sie sind grundlegend durch gegensätzliche Strukturen gekennzeichnet.

 

Das Ganze ist in seiner Unmittelbarkeit dem Denken des Ich und seiner Erfahrungswelt nicht mehr zugänglich zu machen. Daran ändert der Umstand nichts, dass geschichtliches Handeln nur vor dem Hintergrund umgreifender Zusammenhänge geschehen kann. Die individuelle Existenz ist zudem in Entwicklungsprozesse eingebunden, die durch die Permanenz des Wandels charakterisiert sind, so dass jenseits des direkten Alltags kaum eine identitätsstiftende Positionierung möglich zu sein scheint. An diesem Punkt setzt das fotografische Projekt „Dekompositionen“ von Berthold Grzywatz an, indem die Auflösung als konstitutives Element der Wirklichkeit wahrgenommen wird. Die Allgegenwärtigkeit der Auflösung macht das Fragment zu einer festen Form des Seins, die nicht in der Formlosigkeit aufgeht und unter dem Verlust des Kontextes auch nicht in der Spurlosigkeit endet.

 

Die Auflösung ist vielmehr der Ausgangspunkt einer Neu- und Weiterbildung. Durch das Zerlegen eines Vorhandenen in eine Vielfalt von Teilen beginnt ein Zusammensetzen zum Neuen. Das kann eine Variation des vormals Vorhandenen sein oder die Stiftung einer anderen Individualität. Dies schließt nicht aus, dass sich in einzelnen Fällen am Ende der Auflösung Leere einstellt, mithin Übergänge nicht mehr möglich sind. In diesem Fall muss von Zerstörung gesprochen werden. Dann bleibt zu fragen, ob das Zerstörte nicht zum Material anderer Bestimmungen wird. In jedem Fall können wir das Aufgelöste – sei es nun in der materiellen Welt oder sei es in der menschlichen Gesellschaft – als Fragment erkennen. Es zeigt sich gegenüber Eingriffen offen – vielleicht werden diese sogar erwartet, weil der vorhandene Zustand mit Defiziten belastet ist.

 

Das Fragment unterliegt  keinem zeitlichen Regulativ: Es kann nur ein kurzfristiger Zustand sein, in einer längerfristigen Periode aufgehen oder zur existentiellen Form werden, wenn wir beispielsweise an das unvollendete Werk eines Dichters denken. Das ambivalente Verhältnis zur Zeit macht die substantielle Eigenheit des Fragments deutlich – und sei es nur, um ein weiteres Beispiel zu nennen, dass im Überrest eines kurzlebigen industriellen Papiers ästhetische Qualitäten gesehen werden, die später Anlass für seine Einbindung in einen Werkzusammenhang sind.

 

Die ästhetischen Qualitäten des Fragmentarischen erschließen einen wesentlichen Beweggrund für die Arbeiten von Berthold Grzywatz. Seine objektzentrierte Fotografie, die niemals Dokumentation ist und überdies nicht sein will, sucht in Zyklen wie „Verfremdungen“ oder „Dekompositionen“ die Ambivalenz des Fragments aufzunehmen, die Spannung zwischen Form und Formlosigkeit auszuloten und im Zustand des Übergangs die Eigenheit des Aufgelösten zu entdecken.

 

Die von ihm ausgewählten Objekte sind unserem unmittelbaren Alltagsleben entnommen. Es sind Gebrauchsgegenstände, die zur industriellen Umwelt bzw. im weiteren Sinne zum gewerblichen Leben gehören. Es können aber auch Gegenstände der Natur sein, die durch ausschnitthafte Isolierung eine Reduktion der Form erfahren, während gleichzeitig mit diesem Verfahren etwas Neues hervorgebracht wird. Berthold Grzywatz beobachtet Prozesse der Korrosion an Materialien wie Stahl und Kupfer oder Zersetzungen an Steinen und Lacken. Abhängig vom Material und den einwirkenden Faktoren kann die Auflösung fortwährend andauern oder zum Stillstand kommen, indem kaum sichtbare, angegriffene Schichten gegenüber einer weiteren Auflösung abschirmen. Grzywatz sieht in der Zersetzung, die das Objekt zum Fragment werden lässt, eine Brückenlage, die Fragen aufwirft, die zum Zeichen für die Unabdingbarkeit des Handelns wird, wo der Verlust des Ganzen den Charakter einer Bedrohung annimmt und verunsichert.

 

Die eigene Qualität des verfremdeten oder dekomponierten Objekts birgt indessen noch ein anderes Moment: In seiner ästhetischen Struktur kann es sich dem Handlungsgebot verschließen und Autonomie gewinnen. Das Aufgelöste entfaltet sich gleichsam in einem eigenen Raum. Es verweigert sich in der Konkretheit seiner Situation der Rationalität des Handelns, d. h. dem an Sachbezügen orientierten Tun. Womöglich wird das Fragment in seiner spezifischen Form der Offenheit zum Symbol einer Dialektik von Gelingen und Scheitern. In dieser vermittelten Weise dokumentiert das Fragment dann doch etwas, nämlich die unaufhebbare Schwierigkeit, in einer durch den Verlust des Ganzen ausgewiesenen Situation stets das Ganze in Abwägung der Vielfalt vorhandener Ansätze zu gestalten. 

Visible Tracks No. 4
Interstellar No. 2
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