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Priv.-Doz. Dr. phil. habil. Berthold Grzywatz


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Jahresprogramm 2019

1. Verbindungen

 

Peter Bergmann

Skulptur

-

Berthold Grzywatz

Fotografie

 

 

26. April bis 31. Mai 2019

 

Peter Bergmann - Weiße von der Goor

Berthold Grzywatz

 

NATUR, MYTHEN, INNENWELT. 

Zum skulpturalen Werk von Peter Bergmann

 

Der in Ostpreußen geborene, in Eutin aufgewachsene und heute in Heikendorf bei Kiel lebende Bildhauer Peter Bergmann ist über den Weg des kulturpolitischen Engagements zur Kunst gekommen. Erinnert sei nur an seine Mitgliedschaft im Gründungsvorstand des Stifterkreises der Kunsthalle zu Kiel oder an seine langjährige Arbeit als Kurator der Kunstausstellungen im Neuen Botanischen Garten der Kieler Christian-Albrecht-Universität.

Holz, Beton und Stahl bilden variationsreich die Materialbasis seiner Werke. Gleichwohl kann dem in geradezu üppiger Vielfalt verwendeten Holz eine zentrale Rolle eingeräumt werden. In der organischen Form findet Bergmann Inspiration zur Inszenierung des skulpturalen Objekts, das zum Symbol für Zustände menschlicher Existenz wird. Farbe, Ornamente, figürliche und lineare Elemente legen Schicht um Schicht Bedeutungsebenen auf die Objekte; der Betrachter ist herausgefordert, sich auf ein intensives Schauen einzulassen.

Peter Bergmann - nine eleven

Natur und Mythos begegnen sich im Wege der Sinnstiftung jenseits des rationalen Denkens. Das wird auch im Umgang mit modernen Werkstoffen wie Beton und Stahl deutlich, die Bergmann nicht in der stoffeigenen Materialästhetik präsentiert, sondern im narrativen Gewand aus Form, Farbe und Zeichen.

Die Auseinandersetzung mit Objekt und Werkstoff ist dabei nicht einseitig als eine Art imaginäre Annäherung zu verstehen, sondern dialektisch als Erforschen und Gestalten, das sich nicht dem Objekt überlässt, sondern diesem durch verfremdende Eingriffe Struktur verleiht.

Die farbliche Differenzierung der Oberflächen, der Einsatz von Bild-, Schrift- und Begriffszeichen sowie die Einbindung von figürlichen Elementen aus den Bereichen Natur und Umwelt verweisen auf ein mythisches Denken. Seit den Arbeiten von Claude Levi-Strauss wissen wir, dass die mythische Denkform auf einem prädiskursiven Denken gründet. D. h. ein nicht vernunftgeleitetes Denken, das gleichwohl nicht ohne Ordnung und Orientierungsmuster ist.

In der Verbindung von Mythen und Natur äußert sich die Sprache der Fantasie, spiegeln sich psychische Vorgänge und Tiefenstrukturen, entfaltet sich eine poetische Traumstimmung, die aus dem Unbewussten schöpft. Peter Bergmann tangiert mit seinen Werken die Kunst des Surrealismus, weniger seine frühe radikale, auf Selbstfindung angelegte Seite, als seine spätere ästhetische Orientierung, die sich dem symbolisch funktionierenden Objekt, seiner Rätselhaftigkeit und seinen Geheimnissen, verschreibt.

Berthold Grzywatz - Verbindung Nr. 50

Berthold Grzywatz

 

Verbindungen

Fotografischer Werkzyklus

 

In meinem Werkzyklus „Verbindungen“ stehen Schrauben und Muttern als fotografische Gegenstände im Mittelpunkt des künstlerischen Anliegens. Als funktionale Träger fügen sie Teile zu einem Objekt, zu einem Ganzen zusammen. Der zu Grunde liegende Prozess stellt kein Sich verbinden, sondern immer eine bewusste Konstruktion dar, die einer rationalen Ordnung unterliegt.

Vielfältig inszeniert – allein, wenig auffällig, dann gewichtig oder monumental oder auch in Gemeinschaft, gepaart, mitunter gereiht und meistens farblich expressiv – thematisieren die funktionalen Objekte in den Fotografien Situationen des Gebrauchs. Auf diese Weise binde ich die Zeit als elementaren Faktor in meine fotografischen Arbeiten ein und mache die ausgewählten Objekte zu Metaphern der sozialen Lebenswelt.

Zugleich thematisiere ich verschiedene Zustände der Objekte: etwa die sorgfältig instand gehaltene oder durch die Wahl anspruchsvoller Materialien charakterisierte Ausführung innerhalb einer Anlage, ebenso dem Jetzt und seinen Aufgaben wie zukünftiger Dauerbelastung verpflichtet, oder die unter den Belastungen der Zeit korrodierte, mitunter vergessene Form. Überdies finden sich Zustände, in denen die Träger ohne Gebrauch sind, ja womöglich unter Spannung stehen, da sie neue Aufgaben erwarten.

Berthold Grzywatz - "44." - Verbindung

 

Im Ergebnis des funktionalen Gebrauchs entsteht immer eine kommunikative Beziehung. Wenn wir die präsentierten Objekte in ihrer Geschichtlichkeit erkennen, ist mit dieser Beziehung der Egoismus des Ichs, mithin die zum Prinzip erhobene eigene Besonderheit, gleichsam überwunden. In der Konstruktion der Beziehungen wird das Ich demnach von sich selbst als ausschließlichem Orientierungspunkt befreit und damit zugleich die Möglichkeit eröffnet, sich selbst auf vermittelte Weise, d. h. durch das Miteinander mit anderen Menschen, zurückzuerhalten.

Wenn wir die Zeit, das sei abschließend gesagt, als einen entscheidenden Aspekt hervorheben, dann finden die Werke von Peter Bergmann und mir wieder eine Verbindung, denn in der Zeit unterliegt jede Ordnung nicht berechenbaren Belastungen, treffen Natur und Wissenschaft, vernunftgeleitetes Denken und mythische Denkmuster zusammen.

Berthold Grzywatz - Digital Image

 

Berthold Grzywatz

NATURE, MYTHS, INNER WORLD

On the sculptural work of Peter Bergmann

 

The sculptor Peter Bergmann, who was born in East Prussia, grew up in Eutin and now lives in Heikendorf near Kiel, came to art via the path of cultural and political commitment. We need only recall his membership of the founding board of the Kunsthalle zu Kiel foundation and his many years of work as curator of art exhibitions in the New Botanical Garden at Kiel's Christian-Albrecht University.

Wood, concrete and steel form the varied material basis of his works. Nevertheless, wood, which is used in an almost luxuriant variety, can be accorded a central role. Bergmann finds inspiration for the staging of the sculptural object in its organic form, which becomes a symbol of the state of human existence. Colour, ornamentation, figurative and linear elements lay layer upon layer of meaning on the objects; the viewer is challenged to engage in an intense contemplation.

Nature and myth meet by way of creating meaning beyond rational thought. This also becomes clear in his use of modern materials such as concrete and steel, which Bergmann presents not in the material's own aesthetic, but in a narrative guise of form, colour and sign.

The confrontation with object and material is not to be understood as a one-sided imaginary approach, but dialectically as exploration and design that does not abandon itself to the object, but lends it structure through alienating interventions.

The colourful differentiation of the surfaces, the use of pictorial, written and conceptual symbols and the integration of figurative elements from the areas of nature and the environment point to mythical thinking. Since the work of Claude Levi-Strauss, we have known that the mythical form of thought is based on pre-discursive thinking. In other words, thinking that is not guided by reason, but is nevertheless not without order and orientation patterns.

In the combination of myths and nature, the language of the imagination is expressed, psychological processes and deep structures are reflected, a poetic dream mood unfolds that draws from the unconscious. Peter Bergmann's works touch on the art of surrealism, not so much its early radical side, which was based on self-discovery, as its later aesthetic orientation, which is dedicated to the symbolically functioning object, its mysteriousness and its secrets.

 

 

Berthold Grzywatz

Connections

 

A photographic work cycleIn my work cycle ‘Connections’, screws and nuts as photographic objects are at the centre of the artistic concern. As functional supports, they join parts together to form an object, a whole. The underlying process is not a joining, but always a conscious construction that is subject to a rational order.

Staged in a variety of ways - alone, less conspicuous, then weighty or monumental or also in a group, paired, sometimes lined up and mostly expressive in colour - the functional objects in the photographs address situations of use. In this way, I incorporate time as an elementary factor in my photographic works and turn the selected objects into metaphors of the social world.

At the same time, I thematise different states of the objects: for example, the carefully maintained design within an installation, characterised by the choice of sophisticated materials, committed to the present and its tasks as well as to future permanent stress, or the form corroded under the stresses of time, sometimes forgotten. Moreover, there are conditions in which the supports are not in use, possibly even under tension as they await new tasks.

The result of functional use is always a communicative relationship. If we recognise the presented objects in their historicity, this relationship overcomes the egoism of the ego, i.e. its own particularity elevated to a principle. In the construction of relationships, the ego is thus freed from itself as an exclusive point of orientation, thereby simultaneously opening up the possibility of reclaiming itself in a mediated way, i.e. through togetherness with other people.

To conclude, if we emphasise time as a decisive aspect, then the works of Peter Bergmann and I find a connection again, because in time every order is subject to incalculable stresses, nature and science, rational thinking and mythical thought patterns come together.

2. Spannungsfelder

 

Helga Helmig

Malerei

-

Berthold Grzywatz

Metallskulptur

 

 

6. Juni bis 5. Juli 2019

 

Berthold Grzywatz

NATURERFAHRUNG UND ABSTRAKTE KONSTRUKTION.

Zum Werk von Helga Helmig

 

Helga Helmig, langjährige Vorsitzende des Kunstbeirats der Stadt Kiel, strebt in ihren Bildern eine Farbintensität an, die sich in einer gegenstandslosen Sprache entfaltet. Die vielschichtige Inspirationsquelle dieser Werke ist die Natur. Die natürliche Umwelt stellt eine stete Herausforderung dar. Sie erzeugt ein Spannungsverhältnis, auf das Helmig in abstrakten Gegensätzen reagiert, ohne diesen Ort als Fundament des persönlichen Befindens zu verlassen. Naturerfahrung und Abstraktion bedienen sich einer expressiven Farblichkeit, deren Schichtungen von spontanem Arbeiten künden mögen, in Wirklichkeit aber Ausdruck einer ebenso kritisch-reflektierenden wie konstruktiven Suche sind.

 

Wozu dient der Blick in die Natur oder in den Erfahrungsraum der Landschaft, die wir unmittelbar im Zustand der Kultur wahrnehmen und keineswegs im Zustand der Unberührtheit? Müssen wir den Naturbezug als Fluchtbewegung begreifen, gepaart mit dem Ausweichen in die Innerlichkeit? Die Natur mag als Ideal einer in sich stimmigen Erscheinung, als Schein einer besseren Welt daherkommen, in der der Mensch die entbehrte Selbstidentifikation findet. Aber Helga Helmig reagiert in ihrer Auseinandersetzung auf das Seherlebnis Natur mit Widerspruch. Da bleibt nicht einmal der Impetus der Aufklärung, in der Natur bzw. der Landschaft möchte sich der Mensch als mündiges Subjekt erfahren.

 

Das spontane Erleben der Natur oder des Raumes, den wir als Landschaft erfassen, kann also nur der Orientierung dienen. Es ist ein Lesen, das in der künstlerischen Umsetzung der Erfahrungen unter den vorgefundenen historischen Bedingungen Allgemeines und Besonderes miteinander vermittelt. Möglicherweise werden neue Sichtweisen oder Einsichten über die vorhandene und die ersehnte Wirklichkeit gefunden.

 

Die Künstlerin erlebt die Kommunikation mit der Natur in einem Spannungsfeld, auf dem sie sich als Mensch im Verhältnis von Freiheit und Bindung definiert. Im bildnerischen Duktus ihrer Werke wird die Natur zum Projektionsraum für eine Wertorientierung, die sich an der Rationalität der technisch-industriellen Zivilisation abarbeitet und nach den Defiziten des Humanen in der Gegenwart fragt. Die ästhetische Erfahrung verbindet sich mit einem politischen Denken, das nicht mit dem aufklärerisch offerierten Bestmöglichen zufrieden gestellt werden kann, sondern im Begehren einer anderen Welt über das Gegebene hinauswächst.

 

Ein Werk wie „Grenzen sollen Brücken werden“, das im Titel ein Zitat von Richard von Weizäcker aufnimmt, mag das konkret andeuten. Andere Arbeiten von Helga Helmig, genannt seien „Einflugschneise“ oder „Spannungsfeld“, verweisen auf die Risse im Hergebrachten. Diese Risse suchen sich im Fantastischen, in Nachtgespinsten oder in bildlich-emotionalen Eruptionen Bahn. In den Strukturen der Schichtungen, dem Zerschneiden der Flächen, dem Auflösen des Organischen in geometrischen Mustern wird eine vordergründige Zuversicht auf Glück entblößt. Gegenüber den Gefährdungen der Zeit hilft nur der wachsame Blick, die Negation der Verhältnisse, oder, aus der Sicht der Malenden, die widerständige Arbeit im Bild.  

Technisch, und damit möchte ich zu Helga Helmig überleiten, bevorzugt die Künstlerin Mischtechniken, sie verschließt sich aber auch nicht dem Acryl, den Dispersionsfarben oder der Gouache.

 

Ausstellungsimpression

Berthold Grzywatz

EXPERIENCE OF NATURE AND ABSTRACT CONSTRUCTION.

About the work of Helga Helmig

 

Helga Helmig, long-time chairwoman of the art advisory board of the city of Kiel, strives for an intensity of colour in her paintings that unfolds in a non-objective language. The multi-layered source of inspiration for these works is nature. The natural environment represents a constant challenge. It creates a relationship of tension to which Helmig reacts in abstract contrasts without abandoning this place as the foundation of his personal state of mind. The experience of nature and abstraction make use of an expressive colourfulness, the layering of which may herald spontaneous work, but is in reality the expression of a search that is as critically reflective as it is constructive.

What is the purpose of looking into nature or into the experiential space of the landscape, which we perceive directly in a state of culture and by no means in a state of untouchedness? Do we have to understand the reference to nature as a movement of escape, paired with an evasion into inwardness? Nature may appear as the ideal of a coherent appearance, as the semblance of a better world in which man finds the self-identification he is missing. But Helga Helmig reacts to the visual experience of nature with contradiction. Not even the impetus of the Enlightenment remains, in nature or the landscape man wants to experience himself as a mature subject.

The spontaneous experience of nature or the space that we perceive as landscape can therefore only serve as orientation. It is a reading that mediates the general and the particular in the artistic realisation of experiences under the historical conditions found. New perspectives or insights into the existing and desired reality may be found.

 

The artist experiences communication with nature in a field of tension in which she defines herself as a human being in the relationship between freedom and attachment. In the pictorial style of her works, nature becomes a projection space for a value orientation that works through the rationality of technical-industrial civilisation and questions the deficits of humanity in the present. The aesthetic experience is combined with a political way of thinking that cannot be satisfied with the best possible offered by the Enlightenment, but grows beyond the given in the desire for another world.

A work such as ‘Borders should become bridges’, which takes up a quote from Richard von Weizäcker in its title, may hint at this in concrete terms. Other works by Helga Helmig, such as ‘Einflugschneise’ or ‘Spannungsfeld’, refer to the cracks in the established. These cracks find their way into the imaginary, in night spins or in pictorial-emotional eruptions. In the structures of the layering, the cutting up of the surfaces, the dissolving of the organic in geometric patterns, a superficial confidence in happiness is exposed. Only a watchful eye, the negation of conditions, or, from the painter's point of view, the resistant work in the picture can help against the dangers of time. 

Technically, and with this I would like to move on to Helga Helmig, the artist prefers mixed media, but she does not close herself off to acrylic, emulsion colours or gouache either.

 

3. Grenzsituationen

 

Martin Musiol

Malerei, Papierschnitt

-

Berthold Grzywatz

Skulptur

 

 

23. August bis 4. Oktober 2019

 

Berthold Grzywatz

DISPOSITION UND MODERATION – DIE AMBIVALENZ DES ICHS

ZUR MALEREI VON MARTIN MUSIOL

 

Martin Musiol, der an der Kunstschule Blankenese und der Malschule Ottensen Malerei studierte, bevorzugt in seinen Arbeiten Acrylfarben. Ihre Eigenschaften erlauben es, die Farbe zu beherrschen, und eine Malweise zu unterstützen, die auf zügiges Arbeiten angelegt ist. Der rasche Pinselstrich zielt auf die Momentaufnahme, auf das Einfrieren einer Situation ab, in denen sich Menschen offenbaren. Das Verwenden von Neonfarben, die ein Malen vom Hellen zum Dunklen erfordern, unterstreicht diese Zielsetzung, indem der Mensch in eine besondere Aura gesetzt wird; seine Körperlichkeit bzw. Körpersprache sollen hervorgehoben werden. Zudem erlauben es diese Farben, den Menschen selbst in der Masse noch aufleuchten zu lassen.

 

Der Betrachter wird mit der Absicht konfrontiert, die Disposition des Menschlichen aufzuzeigen. Das heißt, es geht um das Offenlegen von Verhaltensweisen, Emotionen, Symptomen, von Eigenheiten, Einstellungen und Einschätzungen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Dabei ist unser Leben nicht von einer isolierten Subjektivität her zu erklären, sondern in den vielfältigen Formen der zwischenmenschlichen Bezüge. Neben dem Miteinander treten Spannungen verschiedenster Art auf, das Einander-nichts-angehen, das Aneinander-vorbeigehen bis hin zum Widereinander und zur Feindschaft.

 

Unser Ich trägt, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, die Negation des Lebens, mithin seine Zerstörung als Einheit, in sich. Spannungen, Zerwürfnisse, Streitigkeiten können bis zur psychischen und physischen Vernichtung des anderen führen. Dabei ist der Ursprung dieser Negation in der Konstituierung unseres Ichs zu suchen. Voraussetzung meiner Selbständigkeit ist die Auflösung meiner unmittelbaren Bindung an andere. Wir wollen nicht außengesteuert sein, sondern uns selbst zu dem machen, was wir sein können. Damit ergibt sich jedoch eine Ambivalenz, eine Zweideutigkeit des Ichs, denn das eigene Tätigsein mit dem Ziel etwas für sich selbst zu erreichen, erweist sich gegenüber der Außenwelt als Egoismus: sei es nun unter dem Gesichtspunkt des gewöhnlichen Eigennutzes oder sei es gar als Destruktion, als Aggression gegen Wehrlose, als Quälerei, Erniedrigung, Entwürdigung oder als Tötung und politisch motivierte gewaltmäßige Negation bestehender Verhältnisse.

 

Die Negation oder das negative Verhalten gründet im Umsturz der Ordnung in mir selbst und der Ordnung in Bezug zu meinen Mitmenschen, da sie mich in ihrer Vorgegebenheit bindet bzw. beschränkt. An diesem Punkt setzt Martin Musiols Malerei an. Sie nimmt die Form einer Moderation an. Unparteilich, wenn auch nicht distanziert neutral, mitfühlend und verständnisoffen setzt sie sich dem Beobachten, dem Annähern und Eindringen aus, um die Brüche im Ich, die Hintergründe von Gewalt oder das Ausprobieren des Unwägbaren, mithin das kalkulierte Infragestellen des Lebens, auszuloten. Seine Bilder können von innen herauskommen, wie in der Werkreihe „Situationen“ oder sie entwickeln sich als intellektuelle Herausforderung, indem ein tradiertes Thema als Aufgabe angenommen wird.

 

In dieser Hinsicht möchte ich auf das Sujet „Tod und Mädchen“ verweisen, mit dem sich Martin Musiol immer wieder auseinandergesetzt hat. Dieses Sujet begegnet uns schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts bei Hans Baldung, der Lebensfreude und Todesbewusstsein bzw. die Vergänglichkeit reflektiert, oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Egon Schiele, der Eros und Tod als Grenzerfahrung deutlich macht und der im Lebensumriss immer den Tod eingeschlossen sieht. Von Schiele ist die Zeile überliefert: „Ich bin Mensch, ich liebe den Tod und liebe das Leben“. Martin Musiol nähert sich dem Leben von seinen Risiken her, die dem Leben immanent sind und ohne deren Existenz Leben möglicherweise nicht Leben ist.

 

Einen Schritt weiter geht Musiol in seinen Opfer-Täter-Bildern, in denen die personifizierte Gewalt wie ein Schatten das Opfer begleitet. Die Komposition der Bilder unterstreicht diese Form der Beziehung, indem das Opfer in den Vordergrund gestellt wird, während der Mörder bzw. die Mörderin im Hintergrund bleiben, aber überaus präsent sind. Der nicht sichtbare Gewaltakt, der als Hintergrundinformation vorausgesetzt wird, schafft gleichsam eine Art Intimität zwischen Opfer und Täter. Man könnte sich fragen, ob eine Darstellung, die vom Bildnerischen ohne Parteinahme ist, erlaubt sein kann, zumal sie vom Betrachter das Bemühen der Erinnerung verlangt, und das Bilderlebnis eines jüngeren Menschen gar von der vermittelnden Aufklärung abhängig macht.

Die in den Personen angelegte Gegenüberstellung beinhaltet indessen keine Relativierung der Taten und noch weniger eine Rechtfertigung der Gewalt, vielmehr impliziert sie die Aufforderung, über deren spezifische Ursachen zu reflektieren. Die Kenntnis dieser Ursachen ist zugleich Aufforderung zur praktischen Humanität. Der in der Besessenheit eines Fans geborene Hass, der durch individuelle Störungen aufgehende politische Fanatismus, der durch die Erfahrung von Gewalt und Krieg entzündete nationalistische Terror oder das einem tief verwurzelten Sozialneid entwachsene Klassenressentiment verweisen auf Gefährdungen des Menschen, die sich in ihrer radikalen Form als Aggression entladen, oder, metaphorisch gesprochen, die im Menschen angelegte Grausamkeit zur Entfaltung bringen.

 

Die Ambivalenz des Ichs verlangt in unserer Zeit, dass die Menschheit sich als einheitliches Geschichtssubjekt konstituiert und dass menschliches Zusammenleben in der Form gesichert wird, dass jeder ein menschenwürdiges Dasein zu führen in der Lage ist. Ein ethischer Minimalkonsens also, dessen aktuelle Realität angesichts politisch-sozialer und nicht zuletzt ökologischer Krisen immer noch im Gewand eines fernen Ziels daher zu schreiten neigt.

 

 

Ausstellungsimpression

 

Berthold Grzywatz

DISPOSITION AND MODERATION -

THE AMBIVALENCE OF THE SELF

ON THE PAINTING OF MARTIN MUSIOL

 

Martin Musiol, who studied painting at the Blankenese Art School and the Ottensen Painting School, prefers acrylic colours in his works. Their properties allow him to control the colour and support a painting style that is designed to work quickly. The rapid brushstrokes aim to capture the moment, to freeze a situation in which people reveal themselves. The use of neon colours, which require painting from light to dark, underlines this objective by placing the person in a special aura; their physicality and body language should be emphasised. In addition, these colours allow the person to shine even in the crowd.

 

The viewer is confronted with the intention of revealing the disposition of the human being. In other words, it is about revealing behaviour, emotions, symptoms, idiosyncrasies, attitudes and assessments in the most diverse life situations. Our lives cannot be explained in terms of an isolated subjectivity, but rather in the diverse forms of interpersonal relationships. In addition to togetherness, tensions of the most diverse kinds arise, from not being able to deal with each other, to passing each other by, to opposition and enmity.

 

Whether we want to admit it or not, our ego harbours the negation of life, i.e. its destruction as a unit. Tensions, quarrels and disputes can lead to the psychological and physical destruction of the other. The origin of this negation is to be found in the constitution of our ego. The prerequisite for my independence is the dissolution of my direct attachment to others. We do not want to be externally controlled, but to make ourselves what we can be. However, this results in an ambivalence, an ambiguity of the ego, because one's own activity with the aim of achieving something for oneself proves to be egoism in relation to the outside world: be it from the point of view of ordinary self-interest or even as destruction, as aggression against the defenceless, as torture, humiliation, degradation or as killing and politically motivated violent negation of existing conditions.

 

Negation or negative behaviour is based on the overthrow of the order within myself and the order in relation to my fellow human beings, as it binds or restricts me in its predeterminedness. This is where Martin Musiol's painting comes in. It takes the form of a moderation. Impartial, if not distanced and neutral, compassionate and open to understanding, it exposes itself to observation, to approaching and penetrating in order to sound out the fractures in the self, the background to violence or the testing of the imponderable, including the calculated questioning of life. His pictures can emerge from within, as in the ‘Situations’ series of works, or they can develop as an intellectual challenge by taking on a traditional theme as a task.

 

In this respect, I would like to refer to the subject of ‘Death and Girls’, which Martin Musiol has repeatedly explored. We encounter this subject as early as the beginning of the 16th century with Hans Baldung, who reflects the joy of life and the awareness of death or transience, or at the beginning of the 20th century with Egon Schiele, who emphasises Eros and death as a borderline phenomenon and who always sees death included in the outline of life. The line ‘I am human, I love death and love life’ has been handed down from Schiele. Martin Musiol approaches life from its risks, which are immanent to life and without whose existence life may not be life.

 

Musiol goes one step further in his victim-perpetrator pictures, in which the personified violence accompanies the victim like a shadow. The composition of the pictures emphasises this form of relationship by placing the victim in the foreground, while the murderer remains in the background but is very much present. The invisible act of violence, which is assumed to be background information, creates a kind of intimacy between victim and perpetrator. One could ask oneself whether a depiction that does not take sides can be permitted, especially as it requires the viewer to make an effort to remember and even makes the pictorial experience of a younger person dependent on the mediating enlightenment.

 

However, the juxtaposition inherent in the individuals does not relativise the acts and even less justify the violence; rather, it implies a call to reflect on their specific causes. Recognising these causes is at the same time a call for practical humanity. The hatred born of a fan's obsession, the political fanaticism that arises from individual disturbances, the nationalist terror ignited by the experience of violence and war or the class resentment that grows out of deep-rooted social envy all point to human endangerments that, in their radical form, are discharged as aggression or, metaphorically speaking, bring out the inherent greyness in people.

In our time, the ambivalence of the ego demands that humanity constitutes itself as a unified historical subject and that human coexistence is secured in such a way that everyone is able to lead a humane existence. An ethical minimum consensus, in other words, whose current realisation in the face of political-social and not least ecological crises still tends to be a distant goal.

 

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