Stahl, mehrteilig, roh geschliffen, klar gelackt; Basis, Stahl, farbig gelackt, Struktureffektlack. 160 x 70 x 60 cm.
THE UNIVERSAL SOLDIER
I Technik und Gestaltung
Die Stahlskulptur setzt sich aus zwei Hauptkomponenten zusammen: Einer Basis in Form eines Trapezes und einer abstrakten Figur, die aus vier miteinander verschweißten Einzelteilen besteht.
Die Grundseiten des Trapezes stehen im Verhältnis von 53:41 cm zueinander, dabei ist die Basis in der Frontalansicht rechts angeordnet. Für die Schenkel des Trapezes wurde ein Maß von 64 cm gewählt. Im Gegensatz zur Figur erhielt die Basis eine farbliche Gestaltung. Durch den Einsatz eines hellgrauen Struktureffektlacks erscheint die Oberfläche in einem rauen, leicht unebenen Charakter.
In der Ausgangsform bestanden die Bestandteile der abstrakten Figur aus Platten, die durch eine Vielzahl von gelaserten Durchbrüchen bzw. Ausschnitten eine transparente Struktur erhielten, ohne dass dadurch optisch eine Leichtigkeit erzielt werden sollte. Die aufgebrochenen Flächen wurden vor allem im tragenden unteren, aber auch im oberen Bereich durch geschlossene Linien kontrastiert, während die Fläche des mittleren Segments nahezu aufgelöst ist. Der kopfartige obere Abschluss der Figur greift in den Raum aus, indem durch das Zusammenfügen zweier „Platten“ eine offene Dreidimensionalität hergestellt wird. Dabei zeigt das Verhältnis von geschlossenen und offenen Flächen hier eher eine Dominanz zu Gunsten der in sich geschlossenen Stofflichkeit des Materials.
Die Überwindung des Flächigen, das geradezu bewegte Einschreiten der Figur in den Raum konnte durch eine rechtwinklige Biegung der Stahlplatten erreicht werden, die im Kopfbereich durch die spezielle Anordnung des Materials, d. h. die gegeneinander verschweißten Elemente, quasi gedoppelt ist. Die Öffnung des „Körpers“ sowie das Ausgreifen in den Raum geben der Gesamterscheinung der Skulptur in Verbindung mit dem Wechsel der Durchbruchsformen eine starke dynamische Präsenz.
Die Ausrichtung der Figur ist in der Gesamtanlage vertikal. Die Biegungslinie und die geschlossenen Außenlinien im unteren Bereich unterstützen diesen Aufbau, gleichwohl zeigt sich eine Spannung zu den horizontalen Komponenten im oberen Abschnitt der Skulptur. Das Verhältnis beginnt mit den leichten Ausstülpungen des unteren Teils, setzt sich in den armartigen Elementen im mittleren Bereich fort und endet mit der Betonung der Waagerechten im Kopfteil.
Basis und Figur folgen einer asymmetrischen Anordnung. Dieses Kompositionsprinzip wird sowohl in der Gliederung der verschweißten Einzelteile als auch in ihrer jeweiligen formalen Struktur und in den Beziehungen der Flächendurchbrüche angewandt. In einer dialektischen Wirkung zum strukturgebenden Prinzip wurden in den Flächenauflösungen der Komponenten symmetrische Ordnungen eingefügt. So werden gereiht geschwungene Formen in konkaver und konvexer Ausführung mit eher starren Gliederungen kombiniert, wie etwa den zahnartigen Reihungen und schlichten Diagonalen im Kopfsegment.
Die Oberfläche der Figur wurde mit Blättern schwerer Körnung geschliffen, im Ergebnis sind die Werkspuren deutlich zu erkennen. Die unregelmäßigen Schraffuren sollen den Oberflächen nicht nur eine bewegte Erscheinung geben, sondern in ihrer scheinbar willkürlichen Verteilung den Eindruck von Unruhe, Unrast und einem inneren Getrieben werden erzeugen.
II Inhaltliche Darstellung
Obwohl die Skulptur allenfalls Lebensgröße erreicht und die Körperformen keineswegs voluminös gehalten sind, zeigt sich die plastische Form derart in Szene gesetzt, dass sie in ihrer kantig-tektonischen und raumausgreifenden Ordnung einem Moment der Bedrohung Ausdruck gibt. Die eckigen armartigen Elemente des Mitteltrakts sowie der trotz seiner Durchbrüche massiv gestaltete „Kopf“ verstärken diese Wirkung, während die Durchbrüche des unteren „Körpers“ durch die geschwungenen Formen keinen Gegenpol darstellen. Vielmehr unterstützen sie eine frontale raumgreifende Dynamik, als wäre die Figur im Spannungszustand der jederzeit möglichen Aktion.
Irgendwo ist immer Krieg. Irgendwo gibt es immer Konflikte: inner- oder zwischenstaatliche Kriege, Auseinandersetzungen mit sporadischem oder wiederholtem Gewalteinsatz. Irgendwo gibt es immer Krisen: sei es um Vorherrschaft, Macht oder Autonomieansprüchen, sei es um Ressourcen, ideologische oder systemstrukturelle Differenzen. Krieg, Konflikte und Krisen gehen nicht von einzelnen Menschen aus. Selbst der Diktator bedarf für aggressive Ziele des Halts durch einen politischen oder militärischen Apparat sowie der Duldung oder Zustimmung durch die Bevölkerung.
Irgendwo gibt es immer Soldaten, Söldner, Legionäre, Milizionäre, Sicherheitskräfte, Kontraktoren, Fachleute und Berater und selbst, freiwillig oder gezwungen, Kinder, die bewaffnete Auseinandersetzungen ermöglichen oder mit ihnen beauftragt sind. Oder sind die Waffenträger nur Opfer, wenn man einmal vom heute international geächteten Söldnertum absieht? Opfer der allgemeinen Wehrpflicht, die, zum sittlichen Prinzip erhoben, allen Waffenfähigen den militärischen Dienst auferlegt, während die Militärapparate als Herrschaftsinstrumente politischen Klassen und staatlicher Politik dienen. Die Staatsraison verlangt von den verantwortlichen Politikern die Verinnerlichung staatserhaltenden Denkens, von den Bürgern die Einübung in realpolitisches Bewusstsein, das auf den verschiedensten Begriffen der Sicherheit gründet. Der Friede ist diesem Denken obsolet, da Sicherheit stets die Möglichkeit des Rechtsbruchs voraussetzt, gegen den Vorsorge getroffen werden muss. Und Vorsorgen heißt Rüsten. Und Rüsten erzeugt weiteres Rüsten.
Geht mit der Herausbildung des staatlichen Gewaltmonopols eine Selbstdisziplinierung des Ichs einher, die über die Garantie von Ordnung und innerem Frieden seine Bereitschaft einschließt, sich dem staatlich-administrativem Handeln zu unterwerfen – im Falle des Krieges: Sich abkommandieren zu lassen und systematisch gegenüber anderen Menschen Gewalt auszuüben? Oder gehört die Aggression zum Inventar jedes Einzelnen und somit das persönliche Interesse an Gewalt ebenso zu den Mechanismen von Konflikten, Krisen und Kriegen wie das Spiel mit der Macht Antrieb staatsmännischen Handelns ist? Die Organisation des militärischen Gewaltapparates beruht zwar auf systematischem Zwang, nutzt aber gleichzeitig individuelle Orientierungen, die sich auf Tugenden und Mythen von männlich geprägtem Krieger- und Heldentum beziehen.
In einer streng hierarchischen Ordnung, charakterisiert durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam, wird das Verhalten des Soldaten durch Rituale, Drill und soziale Kontrolle weitgehend reglementiert. Seine Persönlichkeit erfährt in der militärischen Institution wesentliche Einschränkungen der Individualität und Privatheit. Die emotionalen Bedürfnisse des Soldaten finden ihre Befriedigung durch Gemütserlebnisse im militärischen Verband; sie stärken zudem die Ausbildung des soldatischen Charakters und seiner Tugenden. Die militärische Erziehung kultiviert Tapferkeit, Furchtlosigkeit, Energie, Kraft, Stärke und Härte. Sie bringt einen Menschen hervor, der einem maskulinen Lebensentwurf folgt. Moralität und Diskursfähigkeit, insbesondere das Interesse an der Auseinandersetzung mit allgemeinen moralischen Prinzipien und politischen Entwicklungen, werden ausgeblendet, wenn nicht gar als zersetzend eingestuft.
Die in der Skulptur angelegten Formen rigider Entschlossenheit, physischer Präsenz und begrenzter Wahrnehmung sollen auf die Restriktivität der soldatischen Persönlichkeit verweisen. Ihre universale Natur fordert militärische Tüchtigkeit, die auf Konformismus, sozialer Anpassung, einem Denken in Ja-Nein-Kategorien und einem Selbstwertgefühl gründen, das aus physischer Stärke resultiert. Autonomie und Selbstbestimmung gehören nicht zum Typus des Soldaten, sie wären letztendlich Voraussetzung für seine allgemeine Abschaffung.
BERTHOLD GRZYWATZ
Stille legt sich
Auf betroffene Pflanzen,
In rostigen Dosen
Reste von Wasser,
Trockene Lippen probieren
Geduldiges Blech;
Schmutzige Hände ertasten
Die Linien des Schmerzes
Unter dem Olivgrün;
Wissende Augen
Verirren sich im Luftraum;
Im Dunst des Blaus
Verliert sich jeder Halt –
Verständnis für Fragen
Scheitern
Am fehlenden Netz –
Im Innern
Eines nutzlosen Dieners
Bersten Dämme –
Die Schreie,
Von niemandem gehört,
Entfliehen
In das Irgendwo –
Der gemeine Soldat hat Angst.
Tage
Für den Umsturz,
Die Unabhängigkeit,
Die Verfassung,
Den Geburtstag eines Helden,
Zeremonien
Für den Abschied eines Präsidenten,
Den Empfang eines Würdenträgers,
Für das Gedenken an Opfer
Und Aufrechte
Spiegeln sich im Glanz
Gestärkter Uniformen,
Präsentierter Waffen,
Polierter Stiefel;
Die unvermeidliche Musik
Sorgt für Rührung,
Für ein Band der Gewissheit
Berufen zu sein –
Im Innern
Gedrillter Marionetten
Herrscht Aufruhr –
Die Gedanken,
Von niemandem geteilt,
Zerbrechen
An eingeübten Gerüsten –
Der gemeine Soldat hat Angst.
Die Sterne haben sich
Zum Fernbleiben entschlossen –
In der Dunkelheit
Suchen die Hände Schutz
Auf geöltem Stahl;
Das Herz fragt sich,
Ob es zum Einsatz kommt;
Die Ohren trauen sich nicht,
Dinge zu ordnen;
Das Zittern lässt
Eine unerwartete Kälte vermuten –
Im Innern
Ohnmächtiger Rekruten
Zieht Leere ein –
Die Antwort,
Von niemandem geteilt,
Findet sich
Im unbändigen Entladen
Der Magazine –
Es ist nur eine Übung –
Doch:
Der gemeine Soldat hat Angst.
Im geschlossenen Geviert,
Der überschaubaren Organisation
Planvoll gestaffelter Gebäude
Verbinden sich taube Hände
Zu einem Reigen
Des Füreinander;
Der plötzliche Fortgang
Eines Einzelnen
Fordert die Vorsteher heraus,
Das normierte Abschreiten
Des Alltags
Kennt keine Lücken,
Unerwartetes
Muss dem Appell weichen,
Das Ornament der Ungezählten
Sichert Ruhe –
Im Innern
Engherzig Gebildeter
Naht eine Krise –
Die Gefühle,
Von niemandem geteilt,
Proben sich
Im Verdunkeln,
Im Namenlos sein –
Und doch:
Der gemeine Soldat hat Angst.
Geschrieben Juni - 2017/überarbeitet Dezember - 2019/veröffentlicht in: Berthold Grzywatz,
Das unwirtliche Wirkliche. Gedichte, Aachen 2020.