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Priv.-Doz. Dr. phil. habil. Berthold Grzywatz


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"Lebenswelten". Zwischen Linearität und Nichtlinearität

Grenzüberschreitung

Denken wir uns eine Linie. Die Linie wirft Fragen auf. Wo kommt sie her? Wo führt sie hin? Steht sie für sich selbst? Hat sie eine Beziehung? Steht sie in Verbindung zu anderen Linien? Ist sie in ein System oder ein Netz eingebunden? Wir dürfen wohl annehmen, , dass die einzelne Linie selbst, solange sie ohne Verbindung ist, solange sie nicht in Beziehung zu anderen Dingen tritt oder in Systeme eingebracht wird, ein Nichts bleibt. Der schnell hingeworfene Strich auf einem Blatt Papier, der gezogene Strich auf einer leeren Tafel oder die endlose, vielleicht sogar organisch bewegte Linie, sind ebenso bedeutungslos oder, anders ausgedrückt, seelenlos wie massenhaft vervielfältigte Raster, die unser alltägliches Leben in nicht überschaubaren Formen begleiten. Korrespondiert die zufällig hingeworfene Linie unterdessen auf einem Blatt Papier mit einem Punkt, einem Fleck oder selbst schon mit den mechanischen Verformungen des Werkstoffs, unabhängig, ob gewollt oder lediglich objektbedingt, verbindet sich der Strich mit einem speziellen Material oder Formen in der Fläche, so dass er möglicherweise über die Zweidimensionalität hinaus räumliche Statur gewinnt. Die Linie ist nicht mehr allein, sie ist Teil eines Ganzen, so wie sie die menschliche Lebenswelt zwischen Ordnung und Freiheit, zwischen Vereinen und Trennen vermittelt. Sie folgt freilich keinem allgemeinen Prinzip, sondern bewegt sich in der Polarität von linear und nichtlinear bzw. Linearität und Nichtlinearität.

In zwei Welten

Die Linie ist nicht nur ein singuläres ästhetisches Phänomen, sondern als Bestandteil von Netzen ist sie auch ein systemstrukturelles Element, das in seiner Vielschichtigkeit nahezu sämtliche Bereiche unserer Lebenswelten durchdringt. Denken wir nur an ein Wirtschaftsgut, dessen Wertverlust nach der Anschaffung betriebswirtschaftlich bei der Berechnung des Unterneh-mensgewinns berücksichtigt werden muss. Zur Bewältigung dieses Problems arbeitet man mit dem Prinzip der Abschreibung, deren Methoden linear oder degressiv gestaltet werden können.

 

 

Bei der Beschreibung physikalischer Phänomene begegnen uns lineare und nichtlineare Theorien. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Erscheinungen der Praxis nicht linear strukturiert sind. Einerlei, ob wir die Natur beobachten oder ob wir uns der Analyse von Gesellschaft, Politik und Ökonomie zuwenden, lineare Gleichgewichtszustände bilden eher die Ausnahme, während Strukturbrüche, Turbulenzen, Instabilitäten und Übergänge geradezu regelhaft auftreten, unter Umständen Bedingung für Entwicklung sind.

 

Die Ausbreitung des Internets konfrontiert uns mit neuen medialen Delinearisierungstendenzen. So stellt sich etwa die Online-Zeitung multimedial, interaktiv und virtuell dar, zur gleichen Zeit wird sie nichtlinear organisiert, indem sie die autorenbestimmte Rezeption durch eine nutzerbestimmte ablöst. Der Leser kann die hypertextuellen Strukturen dieses Mediums nutzen, um autonom und nicht zuletzt unabhängig von Raum-Zeit-Mustern Informationen einzuholen und zu kommunizieren oder um sich zu orientieren. Digitale Literatur schließlich eröffnet die Möglichkeit des Verkoppelns von Texten, der nicht-sequentiellen Anordnung von sprachlichen Einheiten, seien sie nun hierarchisch oder nichthierarchisch angelegt.

Die Linie ist nicht nur ein singuläres ästhetisches Phänomen, sondern als Bestandteil von Netzen ist sie auch ein systemstrukturelles Element, das in seiner Vielschichtigkeit nahezu sämtliche Bereiche unserer Lebenswelten durchdringt. Denken wir nur an ein Wirtschaftsgut, dessen Wertverlust nach der Anschaffung betriebswirtschaftlich bei der Berechnung des Unternehmensgewinns berücksichtigt werden muss. Zur Bewältigung dieses Problems arbeitet man mit dem Prinzip der Abschreibung, deren Methoden linear oder degressiv gestaltet werden können.

 

 Bei der Beschreibung physikalischer Phänomene begegnen uns lineare und nichtlineare Theorien. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Erscheinungen der Praxis nicht linear strukturiert sind. Einerlei, ob wir die Natur beobachten oder ob wir uns der Analyse von Gesellschaft, Politik und Ökonomie zuwenden, lineare Gleichgewichtszustände bilden eher die Ausnahme, während Strukturbrüche, Turbulenzen, Instabilitäten und Übergänge geradezu regelhaft auftreten, unter Umständen Bedingung für Entwicklung sind.

 

Die Ausbreitung des Internets konfrontiert uns mit neuen medialen Delinearisierungstendenzen. So stellt sich etwa die Online-Zeitung multimedial, interaktiv und virtuell dar, zur gleichen Zeit wird sie nichtlinear organisiert, indem sie die autorenbestimmte Rezeption durch eine nutzerbestimmte ablöst. Der Leser kann die hypertextuellen Strukturen dieses Mediums nutzen, um autonom und nicht zuletzt unabhängig von Raum-Zeit-Mustern Informationen einzuholen und zu kommunizieren oder um sich zu orientieren. Digitale Literatur schließlich eröffnet die Möglichkeit des Verkoppelns von Texten, der nicht-sequentiellen Anordnung von sprachlichen Einheiten, seien sie nun hierarchisch oder nichthierarchisch angelegt.

Der Segregierte

Wenn Nichtlinearität unter systemtheoretischen Aspekten gleichsam eine Metastruktur generiert, so ist diese allerdings nicht von linearen Entwicklungen abgelöst. Die individuelle Alltäglichkeit ebenso wie der Prozess des Gesellschaftlichen, des Ökonomischen und Politischen unterliegen den linearen Rhythmen eines Ordnungsgefüges, das fortwährend gleichförmigen Schwingungen unterworfen ist. Man mag an einen Kreislauf denken, der alles vereinnahmt hat und sich gesetzmäßig in vorgegebenen Bahnen bewegt. Gleichwohl folgt nicht jeder Impuls einem linearen Muster. Die regelhafte Ordnung muss Dissonanzen ertragen, Verzerrungen hinnehmen, Übersteuerungen aushalten; Modulationen und Kombinationen sind in den Systemen schließlich unvermeidbar.

 

Im Zusammenhang des Miteinanders von Linearem und Nichtlinearem stellt die einzelne isolierte Linie vielleicht ein Paradox dar, da sie unterschiedlichen Systemen dienen kann und dient. Möglicherweise müssen wir ihre Realität überhaupt anzweifeln. Denken wir noch einmal an die lineare Abschreibung eines angeschafften Wirtschaftsgutes. Der zeitliche Abschreibungsmodus folgt einem willkürlich festgelegten Muster, an dessen Ende das Objekt selbst ohne Wert ist, obgleich es weiterhin existiert und in Gebrauch genommen werden kann. Die Linien dieses Systems sind also lediglich gedankliche Konstruktionen – oder liegen wir in diesem Fall nur begrifflichen Problemen auf, d. h. dem Missachten der verschiedenen Bereiche, denen die Begriffe entnommen sind?

 

Der widersprüchliche Charakter der Linie wird auch kulturgeschichtlich deutlich, indem sie als ein Symbol des Bindens und Lösens überliefert ist. Unabhängig von der einzelnen Form, sei es nun das Band oder Seil, oder sei es die Schnur, die Kette oder der Faden, kommt der Linie eine ambivalente Bedeutung zu, denn sie verkörpert sowohl das Bindende und Begrenzende als auch die Unbegrenztheit der Entfaltung und Freiheit. Dem Menschen kann sie die Möglichkeit immerwährenden Fortschreitens eröffnen oder die Fesselung an die eigene existentielle Situation verdeutlichen. Nimmt die Linie die Form einer Spirale an, wird auf Prozesse des Ausdehnens und Zusammenziehens hingewiesen, werden Wachstum und Expansion, Tod und Kontraktion, Kontinuität und Diskontinuität repräsentiert.

Lines Up 1

Über die Symbolik von Linearität und Nichtlinearität gelangen wir mithin zum Menschen und seiner Geschichtlichkeit. Dieser sieht sich stets in eine konkrete Situation hineingestellt, die ihm aus seiner Sicht ebenso linear wie nichtlinear gegenübertritt: Er sucht zu gestalten, aber immer im Bewusstsein, das sein Handeln durch das Geschehen bestimmt ist. Er selbst hat sich als vernunft- und triebgeleitetes Subjekt kennengelernt, zugleich hat er jedoch einsehen müssen, dass sein Verhältnis zu sich selbst ebenso durch die Beziehungen zu den Mitmenschen wie durch die vorgefundene Situation bestimmt ist. Die Orientierung des Ichs, seine Selbstverwirklichung, ist nicht durch den Selbstbezug zu klären bzw. zu eröffnen, obwohl die Selbstvermittlung von jeher als Teil des ichbezogenen Handelns erscheint.

 

In seinem Handeln muss der Einzelne folglich aushalten, dass er nicht von außen her über seiner geschichtlichen Situation steht, sondern dass er an sie gebunden bleibt. Das faktische Geschehen ist freilich nicht schicksalhaft hinzunehmen, vielmehr unterliegt es dem Ich in seinem Handeln bewusst abzuwägen und angesichts der in der Realität gegebenen Möglichkeiten linear oder nichtlinear zu antworten.

 

Das im Sinne einer Dialektik des Seins angesprochene Verhältnis von Linearität und Nichtlinearität begegnet uns in der komparativen Kunstwissenschaft mit der polaren Begrifflichkeit von linear und malerisch wieder. Die zunächst auf die formale Analyse eines Werkes gerichteten Begriffe erschöpfen sich derweil nicht in dieser Zielsetzung, da sie gleichfalls zwischen Werk und Welt zu vermitteln suchen, indem sie das Interesse am Sein in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen erfahrbar machen möchten. Damit treten aber nicht nur das allgemein Gesellschaftliche, sondern auch der einzelne Künstler und der künstlerische Prozess wieder in Erscheinung. Der Auftakt zum Werk, die Idee, das Suchen, Erkennen und Probieren, das Entwickeln, Umsetzen und Verfestigen, unterliegen noch stets einem nichtlinearen Geschehen, während die Ausführung des Werkes in den einzelnen Phasen der Gestaltung mit der Entscheidung für Formen und Verfahren eher linearen Mustern folgt. Doch gilt in dieser Hinsicht, was bereits unter systemtheoretischen Aspekten vermerkt worden ist: Der Prozess vollzieht sich nicht in einer strikten Dichotomie, vielmehr sind beide Aspekte miteinander verwoben und insofern nicht in jeder Phase der künstlerischen Gestaltung eindeutig voneinander abzugrenzen.

 

Die hier vorgestellten Werke entfernen sich von eindeutigen Form-Inhalt-Relationen; sie verweigern sich ebenso festen formalen Ordnungen wie inhaltlichen Stereotypen. Es werden vielmehr ästhetische Spielräume erkundet, indem die spezifischen Eigenheiten der eingesetzten Materialien sowie ihre Gegensätze auszuloten sind. Die Arbeiten folgen Formprinzipien, die einerseits dem Auflösen der Fläche andererseits der Schwere der Masse Raum geben. Dieses Spannungsverhältnis wird durch differierende Oberflächenbehandlungen und konstruktive Gegensätze weiter vertieft. Wenn sich daraus Kompositionen mit kontrastreichen Wechselspielen von Materialien und Formen ergeben, so eröffnen sich Assoziationen auf lineares und nichtlineares Geschehen, das gleichsam die menschliche Existenz fundiert. Form und Inhalt bleiben indes offen, fügen sich einem eher freien Verknüpfen unterschiedlicher Vorstellungen ein.

Lines Up 2

Die Linie oder Linearität als Gestaltungsmoment stellt ein grundlegendes Faktum der Werke dar. Sei es nun, dass sie in serieller Anordnung zum Auflösen von Flächen genutzt wird, oder sei es, dass sie die Masse des Materials aufbricht, dynamisiert sowie rhythmisiert. Mitunter gerät die Fläche durch Raster sich überschneidender oder konträr angeordneter Linien geradezu in Bewegung, während gleichzeitig unregelmäßige Linien dazu dienen, einzelne Flächenteile aus der Gesamtmasse des Materials zu heben. Auf diese Weise wird dem flächigen Objekt eine nichtlineare, ins Räumliche tendierende Struktur verliehen. Das Nebeneinander von seriellen Liniennetzen, unregelmäßigen Linienmustern  sowie unberührten, häufig polierten Flächen und plastischen Elementen lässt das skulpturale Objekt dennoch nicht zerfallen, indem eine sich in der Unregelmäßigkeit behauptende Einheit geschaffen wird. Dem räumlichen Körper überhaupt wird eine fragmentarische Qualität verliehen und das Fragmentarische zugleich zum immanenten Gestaltungsprinzip gemacht.

 

Gleichzeitig findet die Linie in ihrer Fähigkeit Anwendung, plastischen Gegenständen mehr oder weniger feste Konturen zu verleihen, indem auf planen oder auf gewölbten Flächen, die durch Satinieren und Polieren einen hochglänzenden Charakter erhalten haben, Umrisse evoziert werden. Der Gegensatz von linear und nichtlinear lässt sich somit in der quasi beruhigten Fläche erhalten. Den inhaltlichen Assoziationen dürften mit diesen Verfahren mannigfaltige Anlässe zu differierenden Lesarten gegeben werden.

 

In der Fotografie zeigt sich die Linie  nicht minder deutlich als strukturierendes Element. Durch ihre Darstellung als Bestandteil eines Systems werden vielfältige, geradezu geschichtete Verbindungen aufgezeigt, die indessen nicht für sich, sondern als Vielfalt in der Einheit wahrgenommen werden. Es werden unter anderem industriell gefertigte Objekte fokussiert, die durch Reduktion und Detaillierung des Ausschnitts den Zugang zu räumlichen und zeitlichen Orientierungen versperren. Vereinfachung und Vereinzelung sind Mittel der Verfremdung, mit denen die fotografischen Objekte ihrer unmittelbaren Realität entrissen werden. Mit dem Verlust des Kontextes sucht der Künstler neue Relationen zu erschließen, Welt und Wirklichkeit strukturell anderen Blickweisen zu öffnen.

 

Industrielle Objekte wie Schrauben und Muttern oder auch Ketten und Seile sind stets Bestandteile von Ordnungen oder sie sind tragende Elemente von Systemen. Das Herstellen von Verbindungen beinhaltet ihre wesentliche Funktion, wobei jede Verbindung eine Ordnung eruieren kann, während sie in der seriellen Anordnung Systeme zur Entfaltung bringen. Die Objekte können Netze aufbauen, indem sie ihre Kräfte in Reihen, Über- und Unterordnungen  summieren. Die produzierten Systeme unterliegen einem zeitlichen Kontinuum, das in der Regel geplant wird, sich aber dennoch durch die Vielfalt der einwirkenden Faktoren eine Offenheit bewahrt.

Digital Image - Dekomposition III

Die fotografische Reduktion erschließt Linien in den unterschiedlichsten Formen: hier horizontal und vertikal, dort ansteigend und abfallend, bisweilen sich kreuzend. Die Linie findet sich in geometrischen Figuren wie Kreis, Rechteck, Rhombus, Ellipse, Trapez oder Triangel sowie in ihren abgewandelten Formen wieder. Zudem begegnen sich in den Objekten regelmäßig geometrische Figuren und Linien. Der hexagonale Körper zeigt inwendig spiralförmig angelegte Linien, der zylindrische Körper lässt wechselnde Anordnungen von spiraligen Windungen und geglätteten Flächen erkennen. Unter dem Einwirken der Zeit können die durch Linien strukturierten Systeme der Zersetzung ausgesetzt sein, so dass sich die vorhandenen Ordnungen auflösen oder sich fragmentieren. Am Ende bleibt dann ein Fragment zurück, das möglicherweise zu einer eigenen Form findet.

 

Systeme, Netze und Verbindungen unterliegen linearen Prozessen und bringen im Allgemeinen lineare Ordnungen hervor. Die Bedingungen dieser Ordnungen unterliegen im Kontext von Umwelt und Gesellschaft jedoch den unterschiedlichsten Einflüssen, so dass nichtlineare Momente ihre Eigenständigkeit ständig in Frage stellen. Die ausgewählten Objekte können also Symbol für die immanente Instabilität jedes Systems sein, das auf Totalität ausgerichtet ist. Die Handlungsfähigkeit des Menschen bzw. die Notwendigkeit seines Handelns sollte freilich nicht vor der Komplexität der Welt scheitern oder vor der Übermacht vermeintlicher Systemzwänge resignieren.

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