Leseprobe: "Ich", S. 5 f.
Ich
Nicht endender Herbst –
Kastanienbäume leiden
Unter der Last ihrer Früchte,
Dunkle Körper,
Eingebettet in
Empfindliche Haut;
Geschützt durch Wände,
Die jedem Eindringling
Stacheln entgegenstrecken.
Im Traum ein Lager,
Gerichtet auf dichten Schichten
Dorniger Schalen;
Streitbar nach außen gewandt,
Dringen die Spitzen
In vorgefundenes Terrain,
Bohren sich ins Fleisch,
Als folgen sie vorherbestimmten Wegen;
Der Schlaf verwundert dennoch.
Im Besitz der Straße
Sollten auch die Bäume
Seinem Willen folgen:
Die Früchte preisgeben,
Von Zeit zu Zeit das Pflaster
Mit einem üppigen Regen
Tränken –
Suchende sammeln mit Hast,
Ringen um jedes Stück –
Das nahe Lachen
Lässt sich nicht
Als Unschuld deuten.
Der Herr im hohen Geäst
Erkennt sich als Knecht
Fremder Bedürfnisse;
Auf dem Boden
Verzehrt sich sein Ich
In noch jungem Hass –
Das ungeliebte,
Aber unersetzliche Zuhause
Bereitet der Revolte den Weg;
Am Beginn
Die Suche nach Gleichgesinnten,
Entsetzt über eine Welt,
Die fernen Pfaden folgt.
Flucht vor harten Fäusten,
Dort, wo Schutz erwartet wird,
Begegnungen mit Unverständnis,
Mit Vorhalten
Begrenzter Gesinnungen;
Maßlose Appelle
Ersetzen Gespräche;
Erlittene Enttäuschungen
Wandeln sich zu Vorwürfen –
Die Rebellion hält an,
Gärt unverwandt
In scheinbar
Geordneten Gärten,
Wartet auf ein Stichwort;
Vorhersehbare Schrecken
Obliegen der Ignoranz.
An einer allseits bekannten Straße
Mit geschütztem Baumbestand
Eifern sachverständige Biologen
Um den Erhalt von Kastanien;
Eine tückische Krankheit
Raubt dem Holz
Die Lust zum Leben –
Bei den Anwohnern
Löst der mögliche Verlust
Verstörungen aus.